Project Description
Projekt Beschreibung
Von einem, der auszog, sein Fahrrad zu retten
Bikeprofi Tom Oehler will sein gestohlenes Mountainbike wiederfinden. Und schafft es mithilfe einer großartigen Bike-Community, einigen glücklichen Fügungen und der Unterstützung von engagierten Freunden das verschwundene Bike am Ende tatsächlich zu sich zurück zu holen.
Projekt Details
- Rider: Tom Oehler
- Location: Sibiu & Busteni | Rumänien
- Fotograf: Stefan Voitl
- Skills needed: Mountainbiking
- Bike: Liteville 601
Was klingt wie ein schlechter Scherz, den man noch dazu eher in Verbindung mit Autos und Polen kennt, wurde für mich dieses Jahr Wirklichkeit. Aber fangen wir mal ganz von vorne an.
An jenen Tag im vergangenen Jahr kann ich mich bis heute noch ganz genau erinnern. Ich ging in den Keller, um die Pedale von meinem Liteville 601 abzuschrauben, denn die Vorfeude auf den ersten Tests des neuen Liteville Hardtails war riesig.
Auf den ersten Blick war nichts aussergewöhnlich, die Kellertür war verriegelt, das Kellerabteil ebenso. Doch plötzlich entdeckte ich, dass die Vorrichtung für das massive Vorhängeschloss mit einem sauberen Schnitt durchtrennt war. Herzrasen, ein Blick in den Kellerraum, das konnte doch nicht sein. Mein geliebtes Liteville 601, das ich ausnahmesweise im Kellerabteil statt in meiner Radwerkstatt gelagert hatte, war weg – das Kettenschloss, mit dem ich das Bike im Keller noch doppelt gesichert hatte, lag durchtrennt daneben.
„Man sollte meinen, dass man als Bikeprofi ein gestohlenes Bike einfach gegen das nächste austauscht. Aber das Verhältnis zu jedem einzelnen meiner Räder ist schon ein sehr inniges. Ich schraube die Bikes immer komplett aus den Einzelteilen zusammen, kenne dadurch jedes Detail am Bike und alle Stärken und Schwächen. Denn das Wichtigste ist, dass ich meinem Bike in jeder Situation blind vertrauen kann.”
Wanted – Liteville 601. Die Polizei war schnell verständigt und der Fall aufgenommen. Angesichts einer Aufklärungsrate von unter 10% sollte ich mir keine Hoffnungen machen, meinte der Kripobeamte – das Bike sei wohl für immer weg. Auch wenn es aufgrund dieser nüchternen Vorhersagung ausweglos schien, so wollte ich nichts unversucht lassen und bat die Bike-Community in den sozialen Netzwerken um Hilfe. Zahlreiche Facebook Fans und Freunde auf der ganzen Welt haben das Bild von meinem gestohlenen Bike fleißig geteilt – vielen Dank dafür! Ob es was bringen würde, war fraglich. Nach ein paar Wochen war das Posting wieder von den Pinnwänden verschwunden und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dem Bike schön langsam verloren.
Ein virtuelles Fundbüro. Dann. Vier Monate später. Eine Facebook-Nachricht bringt mein Herz kurzfristig wieder zum Rasen. „Hy man – I found your bike stolen – is for sale in Romania“, steht da. Im Anhang ein Link, den ich mich anfangs nicht zu öffnen wage. Doch die Neugier überwiegt und ich entscheide mich letztendlich doch, ihn anzuklicken. Und tatsächlich, da steht es. Mein gestohlenes Liteville 601! Fein säuberlich geputzt, auf einem rustikalen Holzboden. Mit meinem speziellen Aufbau und all den Komponenten, die es teilweise im Handel noch gar nicht zu kaufen gibt. Dem roten Syntace Laufrad vorne, der ersten SR Suntour Durolux mit schwarzen Tauchrohren und den grünen Hope V4 Bremsen, die es nur für gesponserte Athleten gibt.
Die Plattform, auf dem mein Bike ganz dreist zum Verkauf angeboten wird, ist ein rumänischer Ableger von willhaben oder ebay. Nach einem Telefonat mit der Polizei war ich jedoch gleich wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt. „Danke für den Link und unglaublich, dass sie es gefunden haben, bitte rechnen sie aber nicht damit, es jemals retour zu bekommen,“ so die nüchterne Aussage des Polizisten. Und weiter: Die österreichischen Behören hätten in Rumänien leider keinerlei Befugnis, zuständig für meinen Fall sei eine Verbindungsbeamtin in der österreichischen Botschaft in Bukarest. Doch bis mein Fall bearbeitet werden würde, sei mein Bike schon längst wieder verkauft. Punkt. Ein jähes Ende eines schönen Traums?
„Das Liteville 601 war eigentlich nur mein Zweit-Bike, da ich großteils mit dem 301 unterwegs bin. Mit dem gestohlenen Bike bin ich aber kurz vor dem Diebstahl so ziemlich die brutalsten Trails meiner Karriere gefahren, es knüpften also auch ganz besondere Erinnerungen an diesem Bike. Darum lag mir auch so viel daran, es wieder zurück zu bekommen.”
Nothing worth having comes easy. Doch so schnell aufgeben wollte ich nicht. Über einen Freund gelingt es mir, Kontakt zu einem jungen Rumänen herzustellen, der in Linz studiert hat und im EDV Bereich tätig ist. Sergiu, so heißt er, ist schon lange frustriert darüber, dass seine Heimat Rumänien nur mit kriminellen Banden und illegalen Machenschaften in Verbindung gebracht wird, denn sein Land hat seiner Meinung nach viel mehr zu bieten – Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und wunderschöne Natur. Schon allein deshalb will er mir dabei helfen, mein Bike wieder zurück zu bekommen. Sergiu stellt für mich den Kontakt zur rumänischen Polizei her und sammelt Informationen, welche Möglichkeiten es gibt, das Bike zurückzubekommen. Der erste Schritt zum Ziel: Ich muss als Geschädigter eine Strafanzeige auf rumänisch verfassen und an die Polizeistation nach Sibiu faxen. Ja genau, faxen – die Email der 80er und 90er.
Ich verfasse also eine Anzeige, übersetze sie laienhaft mit Google Translate und bitte Sergiu darum, Korrektur zu lesen. Nachdem ich die Anzeige in die Polizeistation gefaxt habe, herrscht wieder Funkstille. Tage vergehen, der Preis von meinem Bike fällt in der Zwischenzeit von 2.100 auf 1.200 Euro – dabei ist es ein Mehrfaches wert. Ganz abgesehen vom ideelen Wert, den dieses Bike für mich hat. Zehn Tage, nachdem das Bike im Internet gesichtet wurde, ist die Verkaufsanzeige plötzlich verschwunden. Das Bike hat vermutlich seinen Besitzer gewechselt und ist damit weg vom Radar. Große Enttäuschung macht sich breit, so kurz vor dem Ziel. Als Sportler kenne ich dieses Gefühl leider viel zu gut.
Doch einen Tag später kommt dann die Nachricht von Sergiu. Die Polizei aus Sibiu hat ihn kontaktiert und mitgeteilt, dass mein Bike sichergestellt wurde. Sollte ich gleich ein zweites Mal so viel Glück haben? Praktisch gleichzeitig meldet sich die österreichische Kripo und fragt bei mir nach, warum das Inserat nicht mehr online ist – gerade wäre die rumänische Dolmetscherin verfügbar, um die Webseite zu übersetzen. Ja, ich weiß ganz genau, warum mein Bike nicht mehr online ist. The early bird catches the worm, denke ich mir nur.
Mein Bike ist also sichergestellt, aber was nun? Es zurückzubekommen sollte noch mal eine größere Herausforderung werden. Denn mit randvollem Terminkalender war eine 1.400 Kilometer Anreise nach Rumänien zu diesem Zeitpunkt keine Option. Der Plan: Sergiu sollte das Bike für mich auf der Polizeistation abholen und und es mir auf dem Postweg nach Österreich schicken. Doch das Ganze ist komplizierter als gedacht. Wir bräuchten dafür eine Vollmacht auf rumänisch, vom Dolmetscher übersetzt und vom Gericht beglaubigt. Eine ziemlich aufwändige Sache und noch dazu ohne Garantie auf Erfolg.
Es vergeht wieder Zeit. Wochen. Monate. Aber so kurz vor dem Ziel aufzugeben, nein, das ist nicht mein Ding. Sechs Monate, nachdem mein Bike gestohlen wurde, nutze ich schließlich fünf freie Tage, um letztendlich auf eigene Faust nach Sibiu zu fahren, um mein Mountainbike persönlich abzuholen. Und weil eine Reise zu zweit viel schöner ist als eine Reise alleine, hole ich noch Fotograf und Freund Stefan Voitl ins Boot. Er hat immer Lust auf Abenteuer und die soll es ja in Rumänien noch genug geben. Um flexibel übernachten zu können, verreisen wir mit einem Tenturi Dachzelt auf meinem Volvo und einem leeren Radträger auf der Anhängerkupplung – ganz nach dem Motto „Machen Sie Urlaub in Rumänien, Ihr Bike ist schon da!”
Knappe 1.400 Kilometer und 14 Stunden Fahrt später sind wir in Sibiu/Hermannstadt. Auf dem gesamten Hinweg plagt mich diese Ungewissheit. Hat die Polizei auch wirklich mein Bike sichergestellt oder ist es irgendein ein anderes Rad? Bei der Polizeistation angekommen steigt die Nervosität. Vor dem Eingang werden wir von Kommissar Claudiu abgeholt. Es ist ein junger Beamter, vielleicht Ende 30, der gut Englisch spricht. An Security Kontrollen vorbei geht es erstmal in den zweiten Stock eines älteren Nebengebäudes. Wir kommen an verschlossenen Büros vorbei, der gesamte Komplex wirkt recht ausgestorben. Bevor der Kommissar uns in sein Büro bittet, öffnete er direkt nebenan einen Abstellraum – und da steht es, mein Liteville 601! Mit dem roten Syntace Laufrad, der schwarzen Suntour Durolux und den grünen Hope Bremsen. Ich bin fassungslos. Er schiebt es zu mir rüber und fragt, ob das mein Bike ist. Ja, das ist es! Ich nehme es in die Hand und probiere alles durch – und alles funktioniert! Gibt’s doch gar nicht. Gut, die SR Suntour Steckachse ist nicht richtig montiert und der Sattel verdreht – aber es könnte schlimmer sein. Und irgendwie ist es, als würde ich meine Freundin nach langer Zeit wieder sehen. Denn mit diesem Bike bin ich schon durch Dick und Dünn gegangen und habe einige meiner schwierigsten Trails bestritten.
„Ich konnte es kaum glauben. Da stand wirklich mein Bike. In einwandfreiem Zustand – genauso wie es mir vor sechs Monaten gestohlen wurde. Absolut fahrbereit, einzig und allein die Federung war etwas hart eingestellt.“
„Machen Sie Urlaub in Rumänien, Ihr Bike ist schon da!”
Nachdem wir schon so weit gefahren waren, wollte ich nicht nach Hause, ohne die rumänischen Karpaten mit meinem wiedergefundenen Bike zu erkunden. Deshalb machten wir uns am nächsten Tag nochmal 300 Kilometer weiter Richtung Osten in das kleine Städtchen Busteni auf. Im Vorfeld hatte ich das Gebiet auf der Karte ausgekundschaftet und ein ganz spezieller Trail war mir darauf gleich ins Auge gestochen. Er führte von der Cabina Babele bis nach Busteni über eine Abrisskante relativ direkt ins Tal. In der Vorbereitung hatten mir einige Locals von diesem Trail aufgrund seines Schwierigkeitsgrades zwar abgeraten – doch wer mich kennt, der weiß, dass mich gerade technische und schwierige Trails reizen.
Wir parken unser Auto in der Dämmerung auf rund 2.000 Meter Seehöhe mitten am Bucegi Plateau. Ausser den streunenden und bellenden Hirtenhunden, die uns in der Nacht einkreisen, ist es eine sehr ruhige, aber kurze Nacht – um 4:15 Uhr reißt uns der Wecker aus den Träumen und eine Stunde später starten wir in den Tag. Da wir schon auf dem Berg sind, bleibt nur noch eine halbe Stunde Aufstieg zu bewältigen. Trotz der frühen Stunde sind wir nicht alleine auf dem Berg. Ein Hunderudel folgt uns mit großem Abstand – solange die Hunde sich uns aber nicht wirklich nähern, halten wir an dem Sprichwort fest: Bellende Hunde beißen nicht.
Gipfel gibt es an diesem Tag leider keinen für uns, aber der Trail ist dafür umso spektakulärer. Viele der seilgesicherten Passagen sind fahrbar, genauso viele aber schlichtweg unmöglich. Die knapp 1.200 Tiefenmeter zeigen sich von ihrer anstrengenden Seite, von Anfang bis Ende ist es sehr ausgesetzt, Fahrfehler verboten. Es ist immer schwer zu beurteilen, ob das Befahren eines Trails Sinn macht oder nicht, in diesem Fall ist es auf jeden Fall grenzwertig.
„Man kann nicht jede Reise von Anfang bis Ende durchplanen. Und so wird eine Biketour in den rumänischen Bergen schon mal zum Mikro-Abenteuer, denn auf der Karte sieht die Welt manchmal ganz anders aus. Doch genau das macht für mich den Reiz aus.”
Unten im Tal angekommen geht es mit dem Lift wieder hoch auf das Plateau, aber das Wetter zeigt sich mit Starkregen und Hagel mittlerweile von seiner undankbaren Seite. Eine Location wollen wir aber heute auf jeden Fall noch besuchen, koste es was es wolle. Also weiter im kühlen Nass. Wir bewegen uns Richtung Sphinx von Busteni, einem Wahrzeichen der Region. Die beeindruckende Sphinx ist ein rund zehn Meter hoher Felsen, der aus einem ganz bestimmten Blickwinkel tatsächlich aussieht wie ein mystischer Kopf. Zum Glück lässt der Regen etwas nach und wir können an diesem ganz speziellen Ort noch einige letzte Shots umsetzen. Nach 13 Stunden auf Tour können wir es danach kaum erwarten, zurück zum Auto zu kommen.
Den nächsten Tag starten wir gemütlich. Wir wollen nach Oradea fahren, um dort David zu besuchen. Er hat mein Bike im Internet entdeckt und mir den Link geschickt – dafür will ich mich nochmal persönlich bei ihm bedanken. Für die 450 Kilometer nach Oradea brauchen wir am Ende ganze zehn Stunden. Denn abseits der Hauptverkehrsrouten zeigen sich die rumänischen Straßen von einer anderen Seite – mit einem Übermaß an Baustellen, Einbahnen und Ampelregelung.
Mit großer Verspätung in Oradea angekommen treffen wir David. Er ist Mitte 20, passionierter Mountainbiker und arbeitet als selbständiger Bike-Mechaniker. Gemeinsam wollen wir mit ihm und ein paar weiteren Locals seine Hometrails erkunden. Wir fahren ein Stück aus der Stadt hinaus auf einen kleinen Hügel. Hochgetreten wird hier nicht, stattdessen schieben wir die Bikes unter einem Stacheldraht durch und dann einem Trail entlang auf den Hügel hinauf. Es ist ein Wahnsinn, was die Jungs hier gebaut haben: Doubles, Tables, Step-Downs und Anlieger. 1,20 Minuten Fahrspaß und Airtime, kurz aber intensiv – damit hätten wir nicht gerechnet. Und nach dem Klettersteig-Trail vom Vortag eine willkommene Abwechslung. Die gemeinsam Session ist ein gelungener Abschluss eines kleinen Abenteuers in Rumänien. La revedere, România!
Tom Oehler
MTB Trial und MTB Profi, lebt in Innsbruck/Österreich
Facebook: Tom Oehler
Instagram/Twitter: tom_oehler
Homepage: www.smooth.at
Stefan Voitl
Fotograf, lebt in Wien/Österreich
Facebook: Voitl Photography
Instagram: voitl.photography
Homepage: www.voi.tl